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Kilometerlanges Gehen, übernachten in Notzelten und Herbergen, wunde Füße und im Gepäck nur das Nötigste. Was Pilger für diese Strapazen entlohnt.
Kilometerlanges Gehen, übernachten in Notzelten und Herbergen, wunde Füße und im Gepäck nur das Nötigste. Was Pilger für diese Strapazen entlohnt.
Der Pilgerboom des Mittelalters ist in der modernen Zeit angekommen.
Auch wenn sich die anfänglichen Motive mit der Sehnsucht nach dem Ursprünglichen vermischt haben mögen, ist das Pilgern noch immer eine vorwiegend spirituelle Reise. Im Gegensatz zum Mittelalter unterliegt die Pilgerreise keinen strengen Regeln mehr. Die Dauer ist individuell, das Ziel muss schon längst nicht mehr in einer bestimmten Anzahl von Tagen erreicht werden. Heute gilt: Nicht das Ankommen, sondern das Unterwegssein steht im Vordergrund.
Der erste Pilger
Dass weniger das Ziel, sondern vielmehr die Erlebnisse auf dem Weg ausschlaggebend sind, erzählt auch die Geschichte von Abraham. In der Bibel heißt es, der Herr habe zu Abraham gesprochen: „Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.“ (Genesis 12, 1)
Als einer der ersten Pilger verließ Abraham seine Heimat und machte sich auf ins Unbekannte.
An die eigenen Grenzen gehen
Abrahams Beispiel folgend, waren im Laufe der Jahrhunderte viele aufgebrochen, um sich auf den Weg zu machen. Im Mittelalter waren besonders Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela beliebte Pilgerziele. Letzteres hat auch heutzutage Hochkonjunktur. Jährlich machen sich zig Tausende auf, um den berühmtesten aller Pilgerwege zu beschreiten: den Camino Francés. Der Weg führt beginnend von Frankreich, über die Pyrenäen bis ins spanische Galicien. Ganze 800 Kilometer legen Pilger auf dem „Camino“ zurück, teils ohne entsprechende Kondition. Die romantische Vorstellung einer sinnstiftenden Reise entpuppt sich für viele zum echten Härtetest. Trotz aller Strapazen berichten Heimkehrende meist euphorisch von einem einzigartigen Erlebnis, das mit nichts anderem vergleichbar ist.
Die Suche nach Gott und sich selbst
Spätestens seit der Erfindung des Automobils sind die eigenen Füße als Fortbewegungsmittel in den Hintergrund gerückt. Dabei hat der Mensch nicht nur gewonnen. Gehen ist die beste Medizin, wusste schon Hippocrates, der berühmte Arzt der Antike. Und auch aktuelle Studien belegen: Gehen ist eine ganzheitliche Bewegungskur für Körper und Seele. Wer zu Fuß geht, ist aktiviert und aufnahmebereit. Hat man erst einmal seinen Rhythmus gefunden, bekommen nicht nur die Füße, sondern auch die Gedanken Flügel. Plötzlich ist die Hektik des Alltags wie weggeblasen und die lange ersehnte Entspannung stellt sich ein. Der Kopf ist frei, ein intensives Eintauchen in die Sinnfragen des Lebens endlich möglich.
Veränderung, Trauer, Verlust, ein neuer Lebensabschnitt, Krankheit, Entscheidungsschwierigkeiten oder einfach nur Neugierde – so unterschiedlich die Beweggründe sich ins Unbekannte aufzumachen auch immer sein mögen, eine Übereinstimmung weisen wohl alle Pilger auf: Sie sind Suchende. Viele begeben sich auf Reise, um mit Gott in Verbindung zu treten und finden dabei zu sich selbst.